Tina Oelker

Die Welt ist eine Ananas, und in ihr wohnt ein Hase.

INTERVIEW

TINA OELKER – ART EMPIRE GALLERY |  2022

AE: Wir freuen uns liebe Tina, dass Du Teil unserer Ausstellung ”SECRETS“ bist. In unserem Interview mit Dir wollen wir mehr über Dich und Deine Arbeit erfahren. Magst Du uns ein wenig über Dich und Deine künstlerische Laufbahn erzählen?
Hattest Du jemals ein kreatives Burnout?

Tina: Nein, einen kreativen Burnout kenne ich nicht, es ist vielmehr so, dass ich überschüssige Ideen aufschreibe und sortiere, um mich auf aktuelle Arbeiten zu konzentrieren. Die Liste der Vorhaben lasse ich ruhen und beobachte, was sich im Laufe der Prozesse immer wieder herauskristallisiert, um dann die Prioritäten noch mal zu stabilisieren. Ein sogenanntes Burnout ergibt sich ab und an auf körperlicher Ebene, ich lege daher bewusst Ruhephasen ein, gönne mir eine Weile, tue Füße hoch und Muße.

AE: Wie ist es heutzutage, ein Künstler zu sein?

Tina: Den Weg des Künstlers zu gehen, ist nicht für jeden Künstler gleich. Die Illusion einer gut funktionierenden Schablone, in die man Künstler hineinzupressen versucht, gibt es schon lange, länger als man zu vermuten wagt.
Die Fallen werden überall gelegt, denn zu einfach scheint es, willigen Kreativen Ruhm, Erfolg, Sicherheit und Einflusskraft zu suggerieren und sie somit einzufangen. Geltungsdrang, Ungeduld, Gier, Zwang und andere Mangelerscheinungen gehen dann in Resonanz und führen eher weg von der Kunst als zu ihr. Man könnte eine Polarisierung herstellen, wenn man die extrem unterschiedlichen Erwartung der Gesellschaft beobachtet. Das Bild des bettelarmen, tief philosophischen und einsamen Künstlers, der selbst sein körperliches Wohlergehen der Kunst und der geistigen Freiheit zum Opfer bringt im Gegensatz zu dem cleveren, intelligenten, Gesellschafts- und Geschäftsfähigen, der es versteht, mit wenig Arbeit viel Geld zu generieren, lässt die Mitte unattraktiv erscheinen. Und gerade aus der Mitte entsteht das Echte, da ist die Quelle.

AE: Was ist Kunst für Dich?

Tina: Kunst ist für mich Wahrnehmung, Vibration, Quelle, Rhythmus, Frequenz, Zeitlosigkeit, Freiheit und Ordnung. Es ist quasi die Dimension, die selbst die Zeit mit sich nimmt und neu definiert. Kunst ist der Ort, in dem ich wirklich atme.

AE: Hat sich Dein Stil im Laufe der Jahre verändert? In welcher Weise?

Tina: Mein Stil ist über die Jahre deutlicher geworden. Es ist ein andauerndes Abschleifen der Hüllen, ein Neuwerden und wieder Loslassen. Während meiner Reise bis hierhin habe ich vor allem mit meinem Projekt „1000 Hasen“ Variationen meiner Malerei im hohen Tempo durchlaufen, dass man meinen Stil kaum festmachen konnte. Das Motiv selbst wurde in der Folge Bezeichnung meiner Malerei. Es wurde zur Gewohnheit, dass man meine Bilder als Hase bezeichnete, unabhängig davon, ob es zu der Reihe gehörte oder nicht. Die Beschäftigung mit einem einzigen Motiv war für mich auch gleichzeitig die Lösung davon und mit dem Tageshasen # 1000 vor acht Jahren auch abgeschlossen. Während 30 Jahren Malerei stellte ich immer wieder fest, dass ich zwar eine innere Stilsicherheit habe, jedoch üben, reifen und überarbeiten musste, diese auch im Außen deutlich sichtbar zu machen. Stil ist für mich untrennbar von der Lebensweise und der geistigen Haltung, und die Malerei versinnbildlicht diese Weise. Mit Ende 40 kann ich mit Sicherheit sagen, dass es mittlerweile vielen leichter fällt, einen echten Oelker zu erkennen.

AE: Was ist Dein Hintergrund? Welche Erfahrung hat Deine Arbeit am meisten beeinflusst?

Tina: Ich bin in Hamm-Westfalen geboren, also knapp noch Ruhrpott. Meine Eltern waren sehr jung, hatten kaum Bildung und waren mit sich und später mit meiner jüngeren krebskranken Schwester ziemlich überfordert. Der Wohnsitz und die Schule wechselten sehr oft, Freundschaften konnte ich in der Kindheit kaum schließen. Dramen und extreme Aussetzer waren damals die äußere Normalität. Ich fand Ruhe und Geborgenheit beim Zeichnen, in der Natur, mit Tieren und beim Großvater. Mit 15 fand ich Zuflucht in der modernen Malerei in der Abendschule und danach in Portofino bei einem italienischen Avantgardisten. Mit 20 zog es mich nach NYC und 1995 landete ich in Hamburg. Was meine Arbeit am meisten beeinflusst hat, kann ich so gar nicht sagen. Es ist alles auf einmal, die Wahrnehmung, die Schulung, das Finden und Schützen der eigenen Mitte, die Zugehörigkeit, die Bindung, die eigene Sprache finden, Frau werden und sein, psychologische Analyse und Auflösung von Dramen, Erkenntnis, das Sein selbst.

AE: Wie sieht Dein kreativer Prozess aus?

Tina: Mein kreativer Prozess ist im Bild selbst direkt sichtbar. Da es rückwirkend und fortwährend für den Betrachter arbeitet, sich nach und nach bis in die Tiefe offenbart, kann das Bild am besten sagen, wie dieser Prozess aussieht und worum es wirklich geht. Ich kenne die Ebene der Kunstvermittlung, der Bildanalyse, und muss sagen, ich hatte in der 7. Klasse schon eine deutliche Abneigung gegenüber schematischen und kognitiven Bilderklärungen. Meine innere und intuitive Überzeugung, dass ein Kunstwerk durch sich selbst sprechen muss, auch ohne kunsthistorische Einordnung, Vergleiche, Preistabellen, Rankings, Institutionen oder Preise, fordert mich seit jeher auf, die Bilder auch mit diesem Anspruch zu malen. Der kreative Prozess ist aus meiner Sicht ein andauerndes Phänomen, mal ist es etwas niedriger, mal sehr hoch frequentiert. Um mein eigenes Schwingen in die Höhe zu treiben, reicht mitunter ein bestimmter Gedanke, eine Bewegung, mal drehe ich die Musik laut, gönne meinem Körper große Gesten und dehne dann die Zeit. Vielleicht trinke ich auch einfach einen heißen Kakao. Weil mein Zeitempfinden nur geringfügig an die digitale und gesellschaftliche Taktung gekoppelt ist, kann ich diesbezüglich kaum beschreiben, wie ich arbeite, es bleibt damit wohl mein Geheimnis.

Hier ein Video von 2012, 06:30 Minuten, bei dem man mich während meiner Arbeit beobachten kann: https://www.youtube.com

AE: Gibt es noch andere neue Elemente in Deiner Praxis der bildenden Kunst, die Du uns mitteilen möchtest, irgendetwas Neues, das Du in der kommenden Zeit erforschen möchtest?

Tina: Die Malerei bildet zwar den Hauptbestandteil meiner Arbeit, jedoch laufen die Dinge parallel: Zeichnung, Photographie, Poesie, Recherche und schriftliche Reflexion, konzeptionelle Projekte, begleitende Texte, Raumgestaltung, spontane Performance und Interaktion mit Kollegen und Gästen. In diesem Jahr war ich Gastkünstler bei „Jazz and the City“ in Salzburg. Statt Malerei kam die Reiseschreibmaschine meines verstorbenen Großvaters und meine Texte zum Einsatz. Sehr spontan und beweglich ergaben sich unterschiedliche Interaktionen. Die Improvisation mit den Musikern und mit einem Sprecher waren intensiv, es wurden Felder geöffnet, die ich aus der Malerei kenne. Die Zusammenarbeit war stets auf Augen-und Herzhöhe, sichtbar, hörbar und spürbar in der Wechselwirkung mit dem Publikum. Die gegenseitige Motivation und Kommunikation mit den Kollegen während des kreativen Prozesses ist in der Form neu für mich, da es im Gegensatz zu früher um die reine Improvisation ging. Jazz!

Ca. 2009 arbeitete ich zum ersten mal mit Musikern und Schauspielern. Dabei stand ehrlich gesagt das Thema der Jagd im Vordergrund. Sprecher und Schauspieler lasen meine lyrischen Texte, Musiker begleiteten, ich inszenierte später die ersten Gesellschaftsabende, traute mich selbst in kleineren Runden vorzulesen und fasste 2020 die Inhalte in dem Buch von Hasen und Göttern zusammen. Die darin ausgewählten Texte wurden seitdem zu beinahe jeder Gelegenheit von Gästen offen vorgetragen, mal mit, mal ohne musikalische Begleitung. 2021 nahm die Integration der Besucher im „Suchtherapiezentrum a.v.B.“ einen Höhepunkt, meine Installation ließ zu, dass die Besucher vollständig frei miteinander agierten und den Raum zum Spielplatz machten.

Im Nachblick habe ich den Eindruck, dass sich ein neues Niveau der Gesellschaftsabende herstellen lässt. Das Sir Hotel, Hamburg buchte mich einige male, um Gästen das aktive Sehen und die Kunst nahe zu bringen und die Idee der Masterclass hat bereits Form angenommen. Die Frage nach einem praktischen und spielerischen Zugang zur Kunst wächst in meinem Umkreis. Wie und ob ich Gesellschaftsabende mit der Idee einer Kunst-Klasse zusammenbringe, ob ich vielleicht lieber nur mit Kollegen interagiere, wie sich die Dinge gestalten, ist ebenfalls noch ein Geheimnis, dem ich selbst auf die Spur gehe.

„25 Farben Stockholm“ bleibt erstmal vorrangig, das Format 240 x 400 cm war bis dato das größte, was ich jemals gemalt habe, da mache ich weiter. Während der abstrakten Malerei beantworten sich natürlich und organisch viele Fragen.

Glück ist, wenn man es nicht zu wiederholen versucht.
Karteikarte/ These # 381 / Happiness is when you don’t try to repeat it.